Rahmenbedingungen verändern statt Appelle formulieren
Dass Verwaltungen vor großen Herausforderungen stehen, ist alles andere als ein Geheimnis. Kein Wunder also, dass „Transformation“ das große Schlagwort bei der Diskussion um die Verwaltungsmodernisierung ist. Ein häufig genannter Aspekt ist das Thema Kultur. Sie gilt nahezu als Allheilmittel: Digitalisierung, Agilität, unbürokratische Arbeitsweisen – für sie alle wird eine neue Kultur als Voraussetzung ausgerufen. Daran ist grundsätzlich nichts verkehrt. Es steht außer Frage, dass fundamentale Veränderungen auch einen Wandel von Verhaltensweisen notwendig machen.
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Veränderungsfähigkeit - Scheitern an "falschem Mindset"?
Schwierig sind jedoch einige Ansätze, die dabei genutzt werden. Vielfach wird – zumindest implizit – unterstellt, die Schwierigkeiten, die bei Transformationsvorhaben im öffentlichen Dienst manchmal festzustellen sind, lägen am fehlenden Willen oder an einer falschen Denkweise der Beschäftigten. Die Rede ist dann meist vom „Mindset“ oder der „Haltung“, die verändert werden müssten, weil sie zu altbacken, zu wenig innovationsfreudig oder zu sehr an Vorgaben orientiert seien. Das Problem dabei: Die Schuld für fehlende Transformationserfolge wird den Mitarbeitenden in die Schuhe geschoben. Dahinter verbirgt sich auch die Annahme, dass die Kultur auf Personenebene zu verstehen und zu verändern sei.
Oft unbeachtet: Strukturelle Hürden für Kulturwandel
Wir als IMAP machen andere Erfahrungen: In unseren Projekten erleben wir viele Beschäftigte als hochmotiviert und engagiert. Die allermeisten wollen Veränderung gestalten und geben dafür ihr Bestes. Sie wissen jedoch auch um die speziellen Anforderungen, die der öffentliche Dienst mit sich bringt. Dazu gehört, dass es besonders hohe Ansprüche an Stabilität und Nachvollziehbarkeit von Abläufen gibt. Von Mitarbeitenden zu fordern, „einfach mal mutiger“ zu sein, geht daher fehl – die Veränderung ist keine Frage von Mut, sondern von strukturellen Rahmenbedingungen. Häufig führen diese Appelle zu Frustration oder Zynismus, da Mitarbeitende sich (verständlicherweise) ungerecht behandelt und in eine widersprüchliche Lage versetzt fühlen: Wenn sie sich über formale Hürden hinwegsetzen, um den Appellen zu folgen, bringen sie nicht nur sie selbst, sondern auch ihre Organisation in Gefahr – wenn sie auf die vorhandenen Restriktionen hinweisen, werden sie schnell als „Bremser“ oder „Verweigerer“ abgestempelt.
Besonderheiten bei Kulturwandel in der Verwaltung beachten
Dabei ist die Stabilitätsorientierung von Verwaltungen keine Schwäche, sondern eine notwendige Voraussetzung für ein funktionierendes Gemeinwesen. Dass Abläufe in Behörden nicht vollständig im kreativen Spielraum von Einzelnen liegen, sondern an nachvollziehbare und legitimierte Vorgaben gebunden sind, mag im Alltag manchmal nerven, ist letztlich aber etwas, für das wir alle dankbar sind. Bei aller Begeisterung für Modelle wie Agilität, Selbstorganisation und Co. gilt es also, auch die andere Seite wertzuschätzen und bewusst einzusetzen. Diejenigen, die auf sie hinweisen, sollten nicht abqualifiziert, sondern als wichtige Stimme anerkannt werden.
Dennoch ist ein Wandel hin zu mehr Innovation und Anpassungsfähigkeit natürlich an vielen Stellen notwendig. Was können Verwaltungsorganisationen also tun, um sich dahingehend zu verändern?
Kulturveränderung: Prozesse, Regeln, Strukturen & Co. anpassen
In unserem Verständnis ist es für kulturellen Wandel entscheidend, an den strukturellen Rahmenbedingungen zu arbeiten, also an den Aufbau, Abläufen, Regelwerken usw.. Wer zum Beispiel mehr Experimentierfreude will, muss einschränkende Vorgaben abbauen oder Entscheidungskompetenzen auf die Ebene der Mitarbeitenden übertragen. Das ist im Kernleistungsbereich von Verwaltungen nicht immer möglich, da hier zurecht strenge Maßstäbe für die Bindung an Formalien angelegt werden. Für mehr Innovationskultur ist es daher sinnvoll, organisationale Räume zu schaffen, in denen Ausprobieren explizit erlaubt ist.
Dies können etwa Abteilungen, Bereiche oder Teams sein, die für Entwicklungsarbeit zuständig und von einigen formalen Anforderungen befreit sind – also ein sicherer Raum, in dem neue Ansätze ausprobiert werden können, ohne gleich den Kernleistungsbereich umstellen zu müssen. Wichtig ist dann, diese Bereiche gut mit dem operativen Betrieb zu verknüpfen, beispielsweise über gegenseitige Hospitation, Brückenrollen oder Verortung in derselben Hauptabteilung. Andernfalls entstehen kulturelle Satelliten, die die spätere Integration der entstehenden Innovationen erschweren.
Begleitung für Kulturveränderung
IMAP hat bereits verschiedene organisationale und kulturelle Transformationen in großen Verwaltungsorganisationen begleitet. Sprechen Sie uns gern an, wenn Sie Austausch zur Veränderung Ihrer Organisation benötigen. Mehr Details zu unserem Ansatz rund um kulturelle Veränderung finden Sie auch in unserem Whitepaper:
Case: Moderne Zusammenarbeitskultur in einer Sozialversicherung
Einer unseren größten Transformationsprojekte hatte das Ziel, einen Sozialversicherungsträger im Umgang mit den Herausforderungen der Digitalisierung, Überlastung und Fachkräftemangel zu unterstützen. Die klassische Verwaltungskultur wurde als eine der Ursachen identifiziert, die zu unflexiblem Arbeiten und einer unattraktiven Arbeitsumgebung für neue Mitarbeitende geführt hat. Über mehrere Monate wurde mit den oberen Führungskräften ein gemeinsames Bild entwickelt, wie die Zusammenarbeitskultur der Zukunft aussehen sollte, und dieses wurde mit allen 2.500 Mitarbeitenden in Gesprächsrunden reflektiert. Im Anschluss haben wir den Aufbau, die Abläufe und die Infrastruktur (z. B. Telefonie und IT-Systeme) vertieft analysiert, und in einem umfangreichen Designprozess Anpassungen an der Organisation eingeführt. Durch Veränderungen an den Prozessen wurde eine flexiblere Verteilung der Arbeitspakete ermöglicht; der Umbau der Bereiche hat die Verantwortung näher an die Team- und Mitarbeiterebene gebracht. Wir haben also nicht versucht, direkt an der Kultur zu „schrauben“, sondern die Rahmenbedingungen so verändert, dass eine Weiterentwicklung der Kultur wahrscheinlich gemacht wurde.